Investieren bei blauem Himmel und Sonnenschein ist vergleichsweise einfach. Seit Monaten oder Jahren steigen die Kurse, alles ist gut. Doch wie geht man an der Börse mit Krisen um, wenn sich das heile Weltbild plötzlich ändert? In diesem Artikel möchte ich einmal meine Gedanken und bisherigen Erfahrungen zum Umgang mit Krisen an der Börse schildern. Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass mich in den letzten Tagen vor allem auf Instagram viele Fragen zur aktuellen Situation und meinem Umgang damit erreicht haben.
Die COVID-Pandemie
Die meisten von euch werden diese Krise an den Börsen miterlebt haben. Ich verzichte daher auf eine erneute Schilderung der Ereignisse. Wie habe ich gehandelt? Zunächst gar nicht.
Am Tag des Crashs war ich wirklich beunruhigt. Mein Depot hatte erst vor wenigen Wochen einen neuen finanziellen Meilenstein erreicht, worüber ich mich sehr gefreut hatte. Wenige Tage später war alles dahin. Einen Einbruch von rund 35% innerhalb eines Tages hatte ich noch nie bewusst erlebt. Das erste Gefühl war Angst. Würde es noch weiter fallen?
Keine Reaktion
Um nicht unüberlegt zu handeln, versuchte ich daher, mich zunächst nicht näher mit meinem eigenen Depot zu beschäftigen und keine Veränderungen vorzunehmen. Nach einigen Tagen entschied ich mich schließlich, gezielt Aktien nachzukaufen, die besonders stark gefallen waren und von denen ich langfristig überzeugt war. Möglich wurde dies durch eine Cash-Reserve, die ich in den letzten Jahren auf meinem Tagesgeldkonto angespart hatte.
Aus heutiger Sicht habe ich viel zu wenig investiert, als die Kurse am Boden waren. Und wenn Zeitreisen möglich wären, hätte ich noch viel mehr in einen weltweiten ETF investiert statt nur in einzelne Aktien. Ein klassischer Fall eines Rückschaufehlers, auf den ich im weiteren Verlauf des Artikels noch eingehen werde.
Ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um „mehr“ zu investieren?
Niemand wird diese Frage mit Sicherheit beantworten können. Es ist durchaus möglich, dass die Kurse weiter fallen, aber auch genau das Gegenteil ist möglich. Damit will ich vor allem eines sagen: Die berühmte Glaskugel, mit der wir die Zukunft an der Börse vorhersagen können, gibt es nicht. Auch wenn manch einer sich anmaßt, hier eine Vorhersage treffen zu können, so ist es am Ende doch nur Raten. 50:50, vielleicht hat man Glück und die Aussage trifft zu.
Keine Panik & Ruhe bewahren
Wann immer eine Krise oder eine ähnliche Situation einen persönlich betrifft, ist die erste Reaktion meist: Angst. Dieser Angst darf aber keine Panik folgen. Das lässt sich leicht schreiben, aber in der Realität ist das etwas ganz anderes. Mein Rat dazu: Versuche, dir deine Gefühle und Gedanken genau zu vergegenwärtigen. Am besten schreibst du sie auf. Schreibe zum Beispiel eine E-Mail an dich selbst, in der du so genau wie möglich formulierst, wie deine Gefühle, Gedanken und Ängste gerade sind. Das hilft dir schon einmal, deine Gedanken zu sortieren.
Wenn du erkennst, dass du in Panik gerätst, dann „nimm es nicht einfach hin“, sondern frage dich, was der Grund dafür ist. Liegt deine Panik daran, dass dein Depot nicht ausreichend diversifiziert ist? Hast du dir einen Anlagehorizont gesetzt? Fehlt dir vielleicht auch ein ausreichend hoher Notgroschen, der dich in Zeiten unsicherer Arbeitsplätze ruhig bleiben lässt?
Sollte ich jetzt meine Aktien/ETF-Sparpläne pausieren?
Hier fällt die Antwort ähnlich aus wie bei der vorherigen Frage. Schau dir an, in welche Aktien oder ETFs du investierst und warum. Bei einem langfristigen, weltweit gestreuten Ansatz sehe ich grundsätzlich keinen Grund, einen Sparplan jetzt zu stoppen. Natürlich immer unter Berücksichtigung der individuellen Situation.
- Was wir nicht wissen: Wann sich die Börse nach einem Einbruch wieder erholt.
- Was wir wissen: Die historische Betrachtung zeigt, dass sich die Börse nach starken Einbrüchen und Krisen immer wieder erholt hat.
Wenn du aber feststellst, dass dich eine Krisensituation stark belastet, solltest du dir überlegen, ob du in Zukunft eine Strategie wählst, die mehr Ruhe und Sicherheit in dein Portfolio bringt.
Warum reagiert die Börse so schnell?
Nicht umsonst heißt es, dass an der Börse die Zukunft gehandelt wird. Neue Ereignisse, mögliche (politische) Risiken, Pandemien. Zuletzt haben wir dies bei der COVID-Pandemie mit einem Run auf Impfstoff-Aktien gesehen. Der Markt reagiert oft sensibel auf solche Ereignisse. Aber auch sehr oft anders, als man es vielleicht selbst für ganz logisch halten würde. Manchmal liest man auch Aussagen wie „die Szenarien sind bereits eingepreist“. Um beim Beispiel der COVID-Pandemie zu bleiben: Die Kurse vieler Unternehmen sind bereits eingebrochen, als noch völlig unklar war, was die Pandemie tatsächlich für die wirtschaftliche Situation bedeuten würde.
Der Rückschaufehler
Hier tritt das Problem des „hindsight bias“ auf. Diesen Effekt kann man wahrscheinlich sehr gut an sich selbst beobachten. Der Rückschaufehler besagt, dass wir nach dem Eintreten eines Ereignisses die Vorhersehbarkeit dieses Ereignisses überschätzen. Hier kommt die Verzerrung der eigenen Wahrnehmung ins Spiel. Ein einfaches Beispiel: Viele Investoren sagen sich im Nachhinein: „Ich habe eigentlich immer gewusst, dass Amazon ein sehr erfolgreiches Unternehmen wird. Mein Fehler war, dass ich nicht frühzeitig investiert habe. Dadurch sind mir Renditen entgangen. Diesen Fehler mache ich nicht noch einmal.“ Dabei lassen wir außer Acht, dass es vor 20 Jahren sicher noch 10 andere Unternehmen gab, die für uns interessant und vielversprechend waren. Von diesen 10 gibt es heute vielleicht noch 3. Eines davon ist Amazon.
Zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit hatte man jedoch keine wirkliche Einschätzung, sonst hätte man wahrscheinlich in die Aktie investiert. Im Nachhinein passt man seine eigenen Vorstellungen jedoch oft unbewusst an das heutige Ergebnis an. Die Folge dieses Effekts ist also, dass man im Nachhinein glaubt, einen offensichtlichen Fehler gemacht zu haben. Dabei war das Ergebnis eigentlich ungewiss.
💡 Buchtipp zum Thema „Denkfehler an der Börse“: Narren des Zufalls von Nassim Taleb.
Fazit
Angst ist kein guter Ratgeber. Jede Krise ist eine Chance. Sei es, um sich selbst und seine Risikobereitschaft besser kennen zu lernen oder um mit den gewonnenen Erkenntnissen zukünftige Entscheidungen anders zu treffen. Wichtig ist dabei immer, sich selbst möglichst neutral und „von außen“ zu betrachten. Auch das kann man lernen. Schreibt mir eure Gedanken oder Erfahrungen mit Krisensituationen in die Kommentare.
Schön formuliert. Was mir immer noch hilft ist der Gedanke, dass Geld neutral ist. Geld ist nicht „gut oder böse“.
Hallo Lisa.
Schöner Artikel. Im Nachhinein hätte ich auch damals zum Corona Crash mehr in Welt ETF’s gesteckt. Aber keiner ist perfekt und man kann nur lernen und durch solche Seiten wie deine, lernt man um so mehr🤗.
Hallo Benjamin,
danke dir – hoffentlich können wir auch aus dieser Situation für uns etwas lernen.
Liebe Grüße
Hallo Lisa,
ich sehe es mit meiner langfristigen Erfahrung auch so, dass Krisen Chancen sind.
Aber, diese Krise ist anders!
Normalerweise gehe ich davon aus, dass immer dann wenn jemand schreibt „es ist anders“ eine große Übertreibung vorliegt die früher oder später vom Markt korrigiert wird (Contra-Indikator). Nun muss ich es, als Optimist, selber schreiben.
Warum ist diese Krise anders? Weil das Wohl von uns allen aktuell von einem einzigen Politiker auf der Welt unberechenbar gesteuert wird. Wir können absolut nicht erahnen, was die Pläne sind und was noch kommen kann oder kommen wird. Die Auswirkungen und die Krisendauer sind absolut ungewiss und unvorhersehbar. Eine schreckliche Eskalation ist jederzeit möglich.
Im Moment gibt es nur eines für mich: Dei Finger still halten und keine einzige zusätzliche Aktienorder aufgeben. Keinen Kauf. Keinen Verkauf. Liquidität sammeln für besser Zeiten und hoffen, dass das Depot es übersteht und Dividenden abwirft. Vielleicht wünsche ich mir noch, alles verkauft zu haben, da eine Aktie zu jedem Kurs noch um 100% Fallen kann. Vielleicht verpasse ich die ersten 20-30% vom Aufschwung. Was solls. Ich investiere langfristig und zocke nicht.
Die Sparpläne von meiner Frau und meinem Sohn laufen aber (vorerst) weiter.
So nach dem x-ten Durchlesen keimt ein kleiner Funke Hoffnung auf bessere Zeiten auf. Hoffentlich wird er Realität.
Beste Grüße
Marc
Hallo Marc,
danke dir für deinen Kommentar. Die aktuelle Gefühlslage fällt auch mir sehr schwer in Worte zu fassen und es ist nicht einfach, „optimistisch“ zu bleiben. Das Wort selbst klingt auch hier schon fast fehl am Platz.
Den Punkt „Liquidität sammeln“ kann ich auch gut nachvollziehen; ähnliche Gedanken treiben mich momentan auch um. Verkaufen / Sparpläne stoppen werde ich aber nicht.
Hoffen wir, dass die Situation nicht weiter eskaliert und wir die selbige langfristig betrachtet als „Erleben eines globalen Ausnahmezustands“ einordnen können.
Liebe Grüße
Hallo Lisa, der Artikel ist wirklich schön geschrieben. Für mich ist das hier die erste Krise (global und am Aktienmarkt) die ich so nah mit erlebe. Irgendwie fühlt sich das auch heuchlerisch an, weil natürlich permanent weltweit Krisen stattfinden aber diese hier eben doch einfach näher scheint.
Ich hoffe auch sehr, dass sich hier bald alles klärt und dieser Wahnsinn(ige) gestoppt wird.
Herzliche Grüße
Jule